Anna Hülser (Vita)
Ein Beruf von dem es keine maskuline Wortform gibt: Hebamme
Beistand bei der Geburt ihrer Kinder brauchten Frauen zu allen Zeiten. Hebammen waren zunächst „Geburtshelferinnen, Ärztin, Apothekerin und Krankenpflegerinnen in einer Person. Erst im 14. Jahrhundert teilte sich die Schulmedizin in verschiedene Berufszweige auf.“
Während der frühen Neuzeit riskierten Hebammen als weise und heilkundige Frauen in besonderem Maße Opfer der Hexenverfolgung zu werden. Fast vierhundert Jahre später, 1818, wurde in Sachsen durch eine erste Hebammenordnung das Hebammenwesen geregelt.
Seit 1885 sind Hebammen in einem Verband organisiert. Rosina Neumann, eine freie Hebamme, rief zum ersten Treffen der Berliner Hebammen auf. Damals gründeten 300 Hebammen einen modernen Hebammenverband. Fünf Jahre später, 1890, fand der erste deutsche Hebammentag mit über 900 Frauen in Berlin statt. Das Reichshebammengesetz von 1938 verfügte die staatliche Anerkennung der Hebammen und gab der Hausentbindung den Vorzug.
Heute gibt es in Deutschland zwei Hebammenorganisationen mit circa 17.300 Mitgliedern.
In sprachlicher Hinsicht stellt der Beruf der Hebamme eine Besonderheit dar. Es ist eine der wenigen Bezeichnungen, die nicht nur ein generisches Femininum tragen, sondern von denen kein Maskulinum existiert. In Deutschland wurde daher 1987 Entbindungspfleger als Maskulinum eingeführt.
Ein wenig Voerder Statistik:
Die allgemeinen Quellen zu Hebammen in Voerde sind recht dünn gesät, dennoch lassen sich ein paar Namen finden und sogar einzelne Schicksale nachvollziehen. Gertrud Hellwig (1806 bis 1880), geborene Byson, versah laut ihrem Totenzettel von 1830 bis zu ihrem Tod „mit gewissenhafter Treue des Amt einer Hebamme in der Gemeinde Spellen.“ Eine weitere Hebamme ist in Spellen durch Wilhelm Kolks recht gut dokumentiert: Margarethe-Lisette Kühnemann, verheiratete Mölleken. Sie wurde 1845 in Emmelsum geboren und starb 1932 Voerde. Sie scheint insofern eine ungewöhnliche Persönlichkeit gewesen zu sein, als sie von den Vermögenden für eine Entbindung „fürstliche Honorare kassierte und arme Familien gratis betreute.“
1883/84 arbeitet laut Adressbuch in der „Gemeinde Vörde“ die Ehefrau von Johann Niemüller als Hebamme.
Im Jahr 1935 findet sich laut Adressbuch in Voerde - Friedrichsfeld die Hebamme Katharina Brücker. 1956 gab es drei Hebammen: Hanna Bellingen in Friedrichsfeld, Helen Burow in Spellen und Anna Hülser in Voerde.
Hebamme Anna Hülser, der Engel von Voerde
Anna Hülser wurde am 7. Dezember 1903 in Mehrum geboren. Sie arbeitete als junges Mädchen im Schloss Mehrum und war anschließend Diakonisse in Duisburg. 1934/35 besuchte sie die Hebammenschule in Wuppertal Elberfeld. In diese Zeit fällt der Beginn ihrer Freundschaft mit Agnes Hourtz.
Von 1935 bis 1955 hat Anna Hülser, manches Mal zusammen mit Agnes Hourtz, als Hebamme in Voerde, Mehrum, Götterswickerhamm und Löhnen gearbeitet. In dieser Zeit hat sie einer enormen Zahl von Müttern, oft in schwierigen Situationen und Zeiten, beigestanden und Säuglinge auf die Welt geholt.
Else Flores erinnert sich an sie und gibt uns damit einen ungewöhnlichen Einblick über nüchterne Statistiken hinaus: „Unsere Waltraud ist da. ... Nur ihr Geburtsdatum, ausgerechnet der 20. April, Hitlers Geburtstag. Aus diesem Anlass war auch in dieser Nacht der Teufel los. Die Ruhrchemie in Holten - Oberhausen stand auf dem Programm der feindlichen Flieger. Die Fenster verdunkelt, Kerzenlicht und Sirenengeheul, schaurig und ohne Pause. Die Hölle auf Erden, der Tod über uns ... Schwester Anna aus Voerde, der gute Engel in dieser Zeit, blieb in den schweren Stunde bei mir. ... Sie war so müde, kam kaum noch aus den Kleidern. Sie war überall und ersetzte den Arzt so gut es möglich war.“
Und wenig später eine andere Geschichte, die das Engagement von Anna Hülser über ihren Beruf hinaus dokumentiert: „Scharlach war uns unbekannt. Nun waren wir alle in Gefahr. ... Wir konnten Jada nicht helfen. Einen Arzt gab es nicht im Ort. Wir holten wieder die treue Schwester Anna. In solchen Fällen setzte sie sich ein, fuhr mit dem Motorrad nach der Kreisstadt Dinslaken, zum Gesundheitsamt. Die schickten sie zum Dinslakener Krankenhaus, damit Jada Aufnahme auf der Isolierstation fände. Schwester Anna erreichte nichts, so sehr sie auch zu allen erreichbaren zuständigen Stellen hin und her lief. ... Wütend kam Schwester Anna mit dem Motorrad zurück. Dann ging sie zum Rathaus Voerde und Jada wurde untergebracht.“ Und erneut: „ Schwester Anna ... der Engel von Voerde. Tag und Nacht im Einsatz. Ihr Grab sollte nie ohne Blumen sein.“
Die Hebamme Anna Hülser hatte - nach den Erinnerungen der Familie - als erste Frau in Voerde ein Motorrad, später als erste ein Auto. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit hatte sie eine leitende Funktion in der 1885 gegründeten Hebammenorganisation.
1942 erwarb sie zusammen mit Agnes Hourtz ein Grundstück am heutigen Klosterkamp, auf dem zunächst Kartoffeln und Rüben angebaut wurden. Beide Frauen wohnten bei Annas Schwester Lieschen in der Steinstraße.
1945 wurde Agnes Hourtz Volksschullehrerin in Friedrichsfeld.
1946 bis 1953 bauten Anna Hülser und Agnes Hourtz ein Haus auf ihrem Grundstück am Klosterkamp, Hausnummer 61d, weitestgehend in Eigenleistung. 1949 konnten sie zunächst ein Kellergeschosses beziehen.
1953 wurde Anna Hülser durch einen schweren Verkehrsunfall arbeitsunfähig.
Sie starb am 13.7.1961 und wurde auf dem Friedhof an der Grünstraße beerdigt. Heute liegt Agnes Hourtz in der gleichen Grabstelle.
Verfasserin: Gisela Marzin