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Anhörung zum Kreishaushalt 2016

Anhörung zum Kreishaushalt 2016 am 10.03.2016 im Kreisausschuss

Sehr geehrter Herr Landrat,
sehr geehrte Mitglieder des Kreisausschusses,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Eingangs meiner Ausführungen bedanke ich mich herzlich für die Gelegenheit, heute von der neu geschaffenen Regelung zur Anhörung gemäß § 55 Absatz 2 Satz 2 der Kreisordnung NW Gebrauch machen zu können.

Am 25. November 2015 wurde im Rat der Stadt Voerde einstimmig auf der Grundlage eines gemeinsamen Antrages aller Fraktionen und eines fraktionslosen Ratsmitglieds eine Resolution zur Kreisumlage verabschiedet, nach der Landrat und Kämmerer des Kreises aufgefordert werden, in der Summe die Beibehaltung oder Unterschreitung eines Kreisumlagehebesatzes von 41,8 v.H. zu ermöglichen.

Begleitet wurde diese Resolution mit dem Auftrag an den Bürgermeister, vom oben genannten Anhörungsrecht Gebrauch zu machen, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen und auf die bedrohliche Finanzsituation in unserer schönen Stadt Voerde hinzuweisen.

Es ist mir eine große Ehre, hierbei in den generellen Aussagen auch für meine Bürgermeisterkollegin und 11 Bürgermeisterkollegen aus dem Kreis Wesel sprechen zu dürfen, die zum Teil anwesend sind und die ich ebenfalls herzlich begrüße.

So wie sich die Kommunen im Kreis Wesel in ihrer Größe, ihrer eher monozentrischen oder polyzentrischen Struktur, ihrer eher städtischen oder dörflichen Prägung, ihrer Sozialstruktur und vielen anderen Merkmalen unterscheiden, so unterscheiden sich auch die strukturellen Probleme in unseren Haushalten.

Allen ist jedoch gemein, dass sich die finanziellen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren permanent verschlechtert haben, wiederholte und stringente Haushaltskonsolidierungsrunden hinter uns liegen und sich die meisten Kommunen dennoch entweder im Stärkungspakt (Moers), in der Haushaltssicherung oder zumindest in strukturell nicht ausgeglichenen Haushalten befinden - und das seit vielen Jahren. Die Folge in diesen Kommunen ist ein stetiger Verzehr des Eigenkapitals, verbunden mit weiterhin düsteren Prognosen in den jeweiligen Finanzplanungsjahren.

Wir sind damit ein Spiegelbild vieler Regionen in NRW, aber auch in anderen Bundesländern.

Voerde ist im Kreise der 13 Kommunen diejenige mit den zweitschlechtesten Haushaltssrukturdaten. Allein seit 2009 - und hier befanden wir uns bereits viele Jahre in der Haushaltskonsolidierung - wurden fast 70 % des bilanziellen Eigenkapitals vernichtet. Nur durch einschneidende weitere, sehr schmerzhafte Konsolidierungsmaßnahmen zum Jahresende 2015 konnte die drohende Überschuldung im Jahre 2019 abgewendet und ein genehmigungsfähiges Haushaltssicherungskonzept aufgestellt werden. In 2 Schritten musste beispielsweise die Grundsteuer B von 460 v.H. auf nunmehr 690 v.H. erhöht werden. Sie können sich vorstellen, wie das in der Bevölkerung aufgenommen wurde und wird - Ihre Voerder Fraktionskolleginnen und -kollegen im Kreistag haben sicher darüber berichtet.

Gestatten Sie mir, zunächst auf einige wesentliche Ursachen einzugehen, die uns Kommunen in diese Situation geführt haben:

  1. Die kommunale Ebene - und hier schließe ich die Ebene der Kreise in NRW ausdrücklich mit ein - leidet seit Jahren unter einer stetigen Zuweisung von neuen Aufgaben, ohne dass diese auch nur annähernd auskömmlich finanziert sind. Aus Zeitgründen möchte ich hier auf eine Aufzählung verzichten, Sie alle dürften sie kennen.
    Das ist eigentlich ein Grund für uns, stolz zu sein, dokumentiert es doch das große Vertrauen von Bund und Land in die Leistungsfähigkeit und Flexibilität der Kommunen. Aktuell stellen wir das ja landauf, landab bei der Bewältigung der immensen Herausforderung im Zusammenhang mit der Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge unter Beweis.
    Es dokumentiert aber leider auch die uns zugeschriebene Leidensfähigkeit, denn bisher haben wir es immer auch hinbekommen, diese Aufgaben bürgerfreundlich zu erledigen und durch weitere Sparmaßnahmen, Gebühren-, Beitrags- und Steuererhöhungen zu finanzieren und damit nicht unerhebliche Beträge aus den städtischen Haushalten zuzuschießen.
  2. Wir leiden weiterhin unter einem deutlichen Anstieg der Transferleistungen im Bereich der Sozial-, Eingliederungs- und Jugendhilfe. Der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen Wohl-fahrtsverbands zeigt das schonungslos auf.
  3. Als ein großes Problem erweist sich die massive Kostenexplosion im Bereich der Hilfen nach dem SGB IX. Sie wird vom LVR über die Kreise an die kommunale Ebene weitergereicht. Die vom Bund versprochenen zusätzlichen Mittel von 5 Milliarden Euro bis 2018 werden größtenteils durch diese Kostenentwicklung aufgezehrt. Der Beitrag zur Entlastung der Kommunen verpufft also wegen einer fehlenden Dynamisierung.
  4. Über Jahre erhielten die Kommunen keine auskömmliche Finanzierung ihrer Leistungen nach dem AsylbLG. Mit der Regelung ab 2016 ff., die mit einer pauschalen Erstattung je Flüchtling vom Grundsatz in die richtige Richtung geht, ist die Unterfinanzierung der Vorjahre in diesem Leistungsbereich jedoch endgültig verfestigt, denn für die Vergangenheit ist keine Erstattung vorgesehen. Ich setze auf die Zusage des Landes, dass im Zuge der Revision im 4. Quartal eine den tatsächlichen Zahlen entsprechende Erstattung gesichert wird.
  5. Die Schuldenbremse des Landes bis 2020 verheißt keine Verbesserung der Rahmenbedingungen im erforderlichen Maße.
  6. Die Finanzsituation in den Kommunen ist bundesweit sehr heterogen. Zum wiederholten Mal schließt die kommunale Ebene 2015 insgesamt mit einem positiven Saldo ab. Auf Bundesebene ist daher die Wahrnehmung für diese ernsthafte Bedrohungslage nicht einheitlich ausgeprägt. Zwar ist es dem Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte", dem auch die Städte Wesel, Moers und Voerde sowie der Kreis Wesel angehören, gelungen, dass der Bundestag sich im September 2015 in einer Plenardebatte mit der kommunalen Finanzsituation auseinandergesetzt hat. Weitere strukturell nachhaltige Unterstützungen über die der letzten Jahre, die es unzweifelhaft gegeben hat, hinaus, sind allerdings kurzfristig kaum zu erwarten.

Welche Konsequenzen erwachsen daraus für Voerde und in Teilen auch für die anderen 12 Kommunen im Kreis?

  • Bereits über viele Jahre werden zum Teil strengste Haushaltssicherungskonzepte gefahren. In Voerde werden so bei einem Gesamthaushaltsvolumen von 110 Millionen Euro inclusive der eigenbetriebsähnlichen Einrichtung Kommunalbetrieb Voerde strukturell allein im Jahre 2016 rund 6,33 Millionen Euro konsolidiert. Der Betrag soll im Haushaltsausgleichszeitraum bis 2021 durch bereits beschlossene Maßnahmen noch auf rund 7,7 Millionen Euro pro Jahr ansteigen.
  • Diese Konsolidierung war verbunden mit einer weitgehenden, teils schmerzhaften Einstellung freiwilliger Maßnahmen.
  • Die Investitionsvolumina wurden in den letzten Jahren immer weiter reduziert. Die Folge ist ein stetiger Substanzverzehr, der sich in der Bilanz widerspiegelt. Das städtische Anlagevermögen hat sich von 2009 auf 2015 um 15,23 Millionen Euro beziehungsweise 4,43 % verrin-gert.
  • Im Zuge einer äußerst restriktiven Personalpolitik blieben die Steigerungsraten bei den Personalaufwendungen in den letzten Jahren deutlich unter den Tarifabschlüssen. Auch für 2016 liegt die eingeplante Steigerung deutlich unterhalb der Orientierungsdaten des Landes.
  • Auch in Zeiten zusätzlichen Personalbedarfs, zum Beispiel in den flüchtlingsbezogenen Aufgabenbereichen, wird die Stellenanzahl konsequent reduziert, freie Stellen bleiben wenn möglich sogar länger als 12 Monate unbesetzt, Krankheitsvertretungen werden - soweit es zumutbar ist - intern aufgefangen, Stellenwerte bleiben auf einem niedrigen Niveau, Leistungsorientierte Bezahlung (LOB) findet im Beamtenbereich nicht statt! Im Gegensatz zum Kreis erfolgt in der Stadt Voerde keine Vollfinanzierung der Angestelltenlehrgänge bei gleichzeitiger Anrechnung der in die Freizeit fallenden Unterrichtsstunden als Überstunden.
  • Die Folgen sind neben einer erkennbaren steigenden Unzufrie-enheit auch Abwanderungen qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in andere Kommunen, wo höhere Besoldungs- und Vergütungsniveaus möglich sind.
  • Die Höhe der Kreisumlage überschreitet das Niveau der Personalaufwendungen zum Beispiel in Voerde um rund 1,5 Millionen Euro und macht in der Dimension rund 25 % der Gesamtaufwendungen des Kernhaushaltes aus. Ähnlich ist die Situation in den anderen Kreiskommunen.
  • Es wäre zugegebenermaßen dem Bürger nur schwer zu erklären, dass einerseits die Realsteuern erhöht, große Teile dieser Mehrerträge dann aber dem Kreis direkt als Kreisumlage überwiesen werden müssten.
  • Die bereits beschriebene Anhebung der Steuern, Gebühren und Beiträge mit heftigen politischen Auseinandersetzungen im Stadtrat führt zu einer deutlichen Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen im Vergleich mit finanziell leistungsstärkeren Kommunen. Wichtige strategische Ziele in Zeiten der deutlich spürbaren demographischen Auswirkungen wie die Steigerung der Familienfreundlichkeit werden durch aktuelle Empfehlungen der GPA zur Anhebung der Kita-Beiträge konterkariert.
  • Dennoch verbleibt im Haushalt der Stadt Voerde für 2016 ein erwartetes strukturelles Defizit von 2,8 Millionen Euro.
  • Untere und obere Kommunalaufsicht attestieren der Stadt Voerde gute Konsolidierungserfolge und ermutigen uns, diese noch zu verstärken.
  • Der bisherige Automatismus, dass sich stets verschlechternde Rahmenbedingungen wegen kaum noch vorhandener Konsolidierungsmöglichkeiten auf der Aufwandsseite durch Steuererhöhungen kompensiert werden müssen, treibt die Kommunen immer weiter in die Strukturfalle.
  • Mit den verfassungsmäßig garantierten Gestaltungsmöglichkeiten der kommunalen Ebene im Rahmen der Daseinsvorsorge hat das nicht mehr viel zu tun. Im Grunde finanzieren wir diese über Kassenkredite.

Sie können meinen Ausführungen entnehmen, dass wir in Voerde schon lange gegen einen mächtigen Strom von sich verschlechternden Rahmenbedingungen anschwimmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir wehren uns dagegen, dass externe Einflussfaktoren immer wieder unsere Konsolidierungserfolge zunichtemachen mit der Folge, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern von Jahr zu Jahr neue Einschränkungen zumuten und zusätzliche Belastungen abverlangen müssen. Es ist nicht hinnehmbar, dass kommunale Standortfaktoren in zunehmendem Maße von der Kassenlage abhängig sind.
Wir wollen unsere kommunale Handlungsfähigkeit behalten beziehungsweise zurückgewinnen, damit wir gemeinsam unseren Beitrag dazu leisten können, dass der Kreis Wesel eine starke Region bleibt und weiter an Attraktivität gewinnt. Hier sitzen wir in einem Boot!

Wie ist die Perspektive und was kann der Kreis dazu leisten?

Den Bürgermeistern und Ratsvertretern in den Kommunen ist völlig einleuchtend, dass auch die konsequenteste Konsolidierung des Kreishaushaltes allein unsere strukturellen Haushaltsprobleme nicht lösen kann.

Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass der Kreis in den vergangenen Jahren durch die strategische Haushaltskonsolidierung bereits strukturelle Verbesserungen erreicht hat.

Ebenso erkennen wir, dass sich der Kreis im Grunde über die LVR-und RVR-Umlagen in einer ähnlichen Situation befindet wie wir.

Aus diesem Grunde müssen sich Kreis und Kommunen gegenseitig unterstützen und gemeinsam weiterhin und in der Zukunft noch verstärkt für eine auskömmliche Finanzausstattung und Begrenzung der Transferaufwendungen und Umlagebelastungen streiten. Das gilt bei Weitem nicht nur für die Garantie einer auskömmlichen Finanzierung der flüchtlingsbezogenen Aufgaben.

Wir müssen weiterhin konsequent sparen und auch die noch verbleibenden Potenziale ausschöpfen. Kirchtumsdenken hilft uns hier nicht weiter.

Dies sollten wir auf kommunaler und Kreisebene nach gleichen Maßstäben tun. Dies ist das Erfordernis der bisher gelebten guten Zusammenarbeit und Solidargemeinschaft zwischen Kommunen und Kreis.

Ich verweise zunächst auf meine Ausführungen in der Stellungnahme zur Haushaltsplanung 2016 des Kreises Wesel vom 13.11.2015 sowie auf die Stellungnahmen der Kreiskommunen, möchte aber einige Dinge auch konkret benennen:

  • Im Personalbereich müssen wir auf gleichem Bewertungs-, Vergütungs- und Besoldungsniveau handeln und auch die sonstigen Rahmenbedingungen auf einem einheitlichen Niveau gestalten. Zusätzliche Stellenbedarfe sollten zunächst dahingehend untersucht werden, ob sie durch interne Umschichtungen in Verbindung mit Standardabbau gedeckt werden können. Die Stadt Voerde hat so beispielsweise zum Stellenplan 2016 in einem Umfang von rund 5 Vollzeitstellen externe Einstellungen vermeiden können.
  • Wir müssen in allen Bereichen Aufgaben- und Produktkritik betreiben und Leistungsstandards hinterfragen. Dies sollten wir weiterhin nach einem wirkungsorientierten Ansatz tun, damit wir die langfristige Vorteilhaftigkeit von Konsolidierungsmaßnahmen im Blick behalten.
  • Bei Kürzungen und Einschränkungen auf Kreisebene sollte auch berücksichtigt werden, inwiefern damit eine bloße Verlagerung auf die kommunale Ebene erfolgt, die am Ende vielleicht sogar wegen der Aufgabe von Synergieeffekten teurer ist. Es gibt viele gute Beispiele für eine Aufgabenwahrnehmung durch den Kreis im gemeinsamen Interesse. Als aktuelles Beispiel sei hier der Üergang der Schulträgerschaft für die Förderschulen erwähnt, sofern die Kosteneinsparpotenziale durch Synergien auch realisiert werden.
  • Zusätzliche freiwillige Leistungen durch den Kreis sollten zukünftig generell abgelehnt werden.
  • Wir müssen die interkommunale Zusammenarbeit weiter ausbauen! Das Thema ist sowohl im Kreis als auch in den Kommunen auf der Agenda und wird beispielsweise gerade aktiv von Dinslaken, Hünxe und Voerde untersucht. Auch im linksrheinischen Bereich gibt es solche Aktivitäten.
  • Wir müssen Doppelstrukturen hinsichtlich ihrer Notwendigkeit hinterfragen. Einige Kommunen führen hier beispielsweise den Aufgabenbereich beziehungsweise den Personalumfang der EAW, Kulturförderung, Klimaschutz sowie die eingeführte "Familienkarte" auf. Durch letztere entsteht teils ein Konkurrenzangebot mit zusätzlichen Personalkosten in der Kreisverwaltung.
  • Die Kommunen unterstützen den Kreis ausdrücklich darin, dass die Nettobelastung für den Kreis im Rahmen des Zugangs an Leistungsberechtigten aus dem Flüchtlingsbereich ins SGB II nicht zu Lasten des Kreises erfolgen darf. Hier gilt die Forderung in gleichem Maße, dass sämtliche Kosten einschließlich der Unterbringung, Versorgung und Integration erstattet werden müssen. Immerhin reden wir für 2016 von einem geplanten Betrag von rund 3,2 Millionen Euro, der in der Erwartung in den Folgejahren noch deutlich ansteigt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir Bürgermeister nehmen mit Freude zur Kenntnis, dass die ursprünglich im Haushaltsentwurf 2016 angedachte Erhöhung des Kreisumlagehebesatzes auf 43,1 v.H. bereits ausweislich des Änderungsdienstes auf 42,54 v.H. deutlich gesenkt werden kann.

Jede weitere Senkung der Kreisumlage hilft uns Kommunen spürbar unsere Handlungsfähigkeit zu sichern beziehungsweise zurückzuerlangen.

Daher richte ich abschließend auch im Namen meiner Kollegin und meiner Kollegen die Bitte an Kreistag und Kreisverwaltung, noch darüber hinaus an die äußerst kritische Belastungssituation der kommunalen Haushalte im Kreis zu denken und weitere Konsolidierungsmaßnahmen, die neben Einmaleffekten vor allem langfristig wirken müssen, konsequent umzusetzen.

Es muss endlich aufhören dass die kommunale Ebene „als letztes Glied in der föderalen Nahrungskette" und damit die Bürgerinnen und Bürger in unseren Städten und Gemeinden für andere die Zeche zahlen!

In weiterhin enger Gemeinschaft zwischen Kreis und Kommunen sichern wir Ihnen unsere Unterstützung zu!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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